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Aus der Praxis: Kultur-Wegweiser

3 Fragen an:

Dr. Nora A. Escherle

Geschäftsführerin Schweizerische Vereinigung der Ingenieurinnen SVIN

Anja Umbach-Daniel

Co-Projektleiterin Kultur-Wegweiser

Was unterscheidet den Kultur-Wegweiser von anderen Impulsprogrammen?

Recht häufig gibt es in grösseren Unternehmen bereits einerseits Mentoringprogramme und Netzwerke für Frauen und andererseits Gender-Trainings für Führungskräfte. Der Kultur-Wegweiser verbindet beide Ansinnen – das Empowerment von Frauen und die Sensibilisierung von Führungskräften. Er erzeugt durch die aktive Mitarbeit der weiblichen Angestellten einen grossen Zugzwang auf das Management, da sich Karrierehemmnisse, auf die ihre eignen weiblichen MINT-Angestellten selbst hinweisen, nicht so einfach wegdiskutieren lassen.

Dr. Nora Escherle

Geschäftsführerin Schweizerische Vereinigung der Ingenieurinnen SVIN
Der Kultur-Wegweiser wirkt ganz unterschiedlich auf die Unternehmen. Besonders freut es uns, wenn er als Impulsgeber in einem Unternehmen einen nachhaltigen Prozess der Strategie- und Massnahmen-Entwicklung anstösst.

Gestaltet sich die Vereinbarkeit für MINT-Frauen schwieriger als für andere Frauen?

Technologieorientierte Unternehmen sind häufig in ihren Strukturen und Kulturen traditioneller aufgestellt. Das heisst, dass sie beispielsweise hohe Erwartungen an ihre Mitarbeitenden bezüglich zeitlicher Verfügbarkeit und Leistung haben. Hohe Arbeitspensen sind eher der Normalfall, auch wenn das Angebot zu Teilzeit formell auf dem Papier besteht – Mitarbeitende, die sich in der Familienarbeit engagieren möchten, sind in ihrem Wunsch, Teilzeit zu arbeiten sehr von ihren jeweiligen Vorgesetzten abhängig. Das gilt noch mehr für die Männer – sie werden gleich nochmal argwöhnischer behandelt, wenn sie ihr Pensum reduzieren wollen.

Anja Umbach-Daniel

Co-Projektleiterin Kultur-Wegweiser
Wir erhalten regelmässig die Rückmeldung fast aller Teilnehmerinnen, dass sie sehr vom Programm und dem Austausch mit den anderen Frauen profitieren konnten und dass manche im Nachgang tatsächlich den Sprung in eine höhere Position schaffen.

Können Sie aus den bisher durchgeführten Programmen ein Best Practice ableiten?

Es gibt durchaus einige Massnahmen, die unternehmensübergreifend als wirkungsvoll erachtet werden können. So ist es beispielsweise zentral, dass die im Programm involvierten Führungskräfte möglichst hoch in der Hierarchie der Unternehmen angesiedelt sind und sich für die Umsetzung und Weiterentwicklung der beschlossenen Massnahmen langfristig einsetzen. Was die konkreten Massnahmen anbelangt, so sind diese von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich: So schreiben einige Unternehmen Führungspositionen prinzipiell auch als Teilzeitstellen (80%) aus oder offerieren die Möglichkeit von Jobsharing. Das Angebot firmeninterner Förderprogramme – Mentoring, Weiterbildungen, Führungskraftentwicklung, usw. – wird ausgebaut und transparenter kommuniziert. Die Transparenz hinsichtlich Mitarbeitendenstruktur sowie möglicher Karrierewege innerhalb der Firma wird erhöht. Die firmeninterne Vernetzung der dort angestellten MINT-Frauen wird gefördert. Wenn möglich werden gemischtgeschlechtliche Teams gebildet. Vaterschaftsurlaub wird eingeführt bzw. stärker empfohlen. Wichtig ist allgemein, dass das Management sich seiner Vorbildfunktion bewusst und sich gewahr sein muss, dass ohne verbindliches, langfristiges Engagement der Führungskräfte kaum nachhaltige Veränderungen möglich sind.